In meiner Schulzeit waren sie das „Must-Have“ eines jeden It-Girls: Poesiealben, möglichst mit vielen Glanzbildern und noch mehr Lebensweisheiten gespickt. „Was Du nicht willst, das man Dir tu´, das füg´auch keinem andern zu“, das war einer der sinnreichen Leitsätze, die mich seitdem begleitet haben. Und seitdem freue ich mich immer, wenn mir auch im Twitter-Zeitalter des 21. Jahrhunderts jemand begegnet, der die hier zugrunde liegende Wertschätzung tatsächlich lebt.

Zum Beispiel letztens auf einem Vortrag der Wirtschaftsjunioren in der Landeshauptstadt. Nun ist es für mich an der Tagesordnung zu Veranstaltungen zu gehen, wo ich noch niemanden kenne. Und es ist auch an der Tagesordnung, dass die schon untereinander bekannten Teilnehmer in geschlossenen Grüppchen zusammen stehen.

Als Etikette-Trainerin fällt es mir zwar leicht, mit Small Talk ins Gespräch einzusteigen, doch dieses Mal kam mir jemand zu vor: Ein netter älterer Herr ging direkt auf mich zu, stellte sich als Wirtschaftssenior vor, und machte mich mit einigen der Gäste bekannt. Mit ausgesuchter Höflichkeit und witzigem Charme klärte er mich über die Historie des Verbandes auf. Dann suchte er einen guten Platz weit vorne für mich aus und versorgte mich mit Selters & Co. Während der gesamten Veranstaltung blieb er dezent aufmerksam, und zum guten Schluss begleitete er mich eigenhändig bis zur Tür. Übrigens, nicht dass Sie auf Gedanken kommen: seine Frau war mit von der Partie und ebenfalls ein wahrer Schatz. Auf meinem Weg zurück zum Auto blinzelte ein Sonnenstrahl hinter den Wolken hervor. Oder war es vielleicht Freiherr von Knigge selbst, der wohlwollend zu uns herunter lächelte?