Kennen Sie das? Ihr Chef schwärmt von einer Kollegin in den höchsten Tönen, Ihnen ist jedoch gar nicht klar, was an dieser Person so besonders ist. Auf Ihre Nachfrage bekommen Sie die Antwort: „Die hat Persönlichkeit!“ Persönlichkeit, so so. Haben wir die nicht alle? Sind wir nicht alle Personen und von daher von Natur aus mit Persönlichkeit ausgestattet? Gibt es eine Mengeneinheit dafür, denn offensichtlich haben einige mehr und andere weniger.
Die Herkunft des Wortes „Person“ geht laut Duden auf das etruskische „phersu“ zurück, was soviel wie „Maske“ oder „Rolle“ bedeutet. Ja, Sie haben richtig gelesen und sind vielleicht genauso erstaunt wie ich! Haben wir doch in den letzten Jahren gelernt, dass Authentizität das wichtigste Merkmal ist, um als überzeugende Persönlichkeit wahrgenommen zu werden.
Und nun? Sollen wir alle wieder daran arbeiten, verschiedene Rollen zu spielen, die Maske der Professionalität am Arbeitsplatz mit der Maske der Verführerin am Abend zu tauschen? Ein bekannter Wirtschaftspsychologe schrieb kürzlich in einem noch bekannteren Wirtschaftsmagazin über die „Authentizitäts-Lüge“, ein seltsames Paradoxon. Darin proklamierte er unsere soziale Pflicht, verschiedene Rollen zu spielen, um den Erwartungen der Gesellschaft gerecht zu werden. Diese Aussage hat mir ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend verursacht. Will ich mich verbiegen? Will ich eine multiple Persönlichkeit sein (und dabei nicht in der Klappsmühle landen)? Will ich mich in widersprüchliche Handlungen verstricken, nur weil die Erwartungshaltung anderer dies erfordert?
Nun mögen einige einwenden, dass wir von Natur aus verschiedene Rollen einnehmen, die des Ehepartners, Elternteils, Vorgesetzten oder Freundes. Und es stimmt sicher, dass wir, je nach Kontext, unterschiedliche Verhaltensweisen zeigen. Das Rollenspiel erinnert mich an den Theaterkurs in meiner Schulzeit, als ich mit 16 eine 80-jährige Großmutter glaubhaft darstellen sollte, und mir dies zugegebenermaßen schwer fiel. Mir gefällt da die Idee besser, dass wir alle grenzenlose Ressourcen in uns haben, um in unterschiedlichen Situationen in der für uns zu diesem Zeitpunkt bestmöglichen Weise zu (re-)agieren. Und dabei kann man sich selbst treu bleiben, eben authentisch sein.